Georg auf Lieder ist ein Malocher. Fleißig schraubt er in seinem kleinen Studio an neuen Songs und sucht dabei unermüdlich nach dem eigenen Sound. Er hat sich für die Kreativität als Lebensentwurf entschieden und dabei das tägliche Handwerk zur Kunst erhoben. Mit seinen beiden neuen Mixtapes, dem 8-Spur 22607 Tape und dem 8-Spur 22419 Tape, beweist Georg auf Lieder erneut sein erzählerisches Talent, wenn er fast hörspielartig seine Geschichten in die Welt trägt. Diese Selbstreflexion trifft auf eine musikalische Vielfalt, die absolute Offenheit bedingt. Er ist dabei stetig in Bewegung, auf der Suche nach sich, auf der Suche nach Zugehörigkeit und schärft mit nun insgesamt fünf Veröffentlichungen in nur vier Jahren seine außerordentliche Handschrift als Songwriter.
Das 8-Spur 22607 Tape besticht durch seinen auf den ersten Blick locker beschwingten aber im Kern tief melancholischen Indie-Folk, der an amerikanische Bands wie Wilco oder Eels erinnert. Die Akustik-Gitarre steht im Zentrum und wird von Orgel- und Mellotron-Sounds, schwebenden E-Gitarren und ein aufs Wesentliche reduziertes Schlagzeug unterstützt. Diese Instrumentierung unterstreicht die scheinbare Leichtigkeit der titelgebenden Hamburger Postleitzahl. In seinen Alltagsbeobachtungen berichtet Georg auf Lieder von dem Grundbedürfnis, das uns alle vereint: Ein glückliches, erfülltes Leben zu führen. Auf dem Pfad dorthin sind Fallstricke versteckt, durch Arbeit ermüdete und leere Gesichter säumen die Straßen im Feierabendverkehr („Arbeit Arbeit Arbeit“), der Magen knurrt eine Oper und scheinbar gibt es keine Perspektive („Spaghetti“). Widersprüchlichkeiten wie „Bio-Gurken in Plastikverpackung“ werden genauso besungen wie die Flucht ins ziellos mäandernde Wandern oder aufs Sofa in die Weiten des Internets („Sofakatzenbabys“). Doch wenn alles schlecht ist („Alles ist schlecht“), zeigt eine umherfliegende Taube mit Handicap („Einbeinige Taube“), dass vieles möglich ist, wenn sich der Kopf davon befreit, bedeutungsvoll zu sein. Wie Georg auf Lieder im fulminant vertonten Carpe Diem „Bedeutungslos“ singt: „Lass die Hände los und begehe Fahrerflucht“, vom alten Leben.
Das 8-Spur 22419 Tape und der titelgebende Hamburger Ortsteil Langenhorn stehen symbolisch für seine Sozialisation und die Schwierigkeiten des Aufwachsens, die ihn bis heute prägen und für immer begleiten werden. Mit „Deutscher Sommer“ startet das Mixtape im beeindruckend düsteren Elektrogewand mit Synthesizer-Arpeggio und setzt die Grundstimmung dieser persönlichen Platte. Georg auf Lieder thematisiert das Aufwachsen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Sie „hassen alle Nazis, doch sind nicht meine Freunde“, und der unbewusste Wunsch nach Zugehörigkeit bleibt ihm verwehrt, weil er von den Menschen in seinem Umfeld zum Teil ungewollt oder gewollt ausgeschlossen wird. Hier drückt sich der ganze Schmerz dieses Werkes aus, wenn Georg auf Lieder davon singt, im selben Land sozialisiert worden zu sein, aber nicht die Chance gehabt zu haben, das erwünschte Leben zu führen. Freunde, an denen er trotz ihrer Fehlbarkeiten festhält, werden zum Anker gegen die Einsamkeit („Irgendwann kennst du deine Freunde“) und die Sehnsucht nach dem Überblick eines Kranfahrers lässt ihn zumindest von einer anderen Perspektive raus aus der Tristesse träumen („Kranfahrer“). Der dunkle musikalische Grundsound des Tapes wird zwar durch die augenzwinkernde Single „35 Jahre und kein Führerschein“ und das Drogendealer-Refugium vom Mindestlohn „Goodbye Hamsterrad“ gebrochen, doch trotz der Beschwingtheit in Dur wohnt den beiden Liedern die bedrückende Wahrheit der sozialen Ungleichheit inne. Abschließend verabschiedet das epische siebenminütige „Gesichter in den Wolken“ mit einleitender Akustikgitarre und einem elektronischen, fast meditativen Outro diese prägende Lebensphase. Ein kathartischer Moment für den 35-jährigen Künstler.
Beide Mixtapes sind der Versuch, unterschiedliche Phasen im Leben des Musikers zu greifen. Dieses Verstehen ist immer auch nur temporär, denn neue Eindrücke und Erfahrungen bieten über die Jahre wiederum verschiedene Perspektiven auf das Geschehene. Was bleibt, sind die Erinnerungen. Die Interpretation ist ständig in Bewegung, wie Georg auf Lieder selbst. Er hat im täglichen Schaffen, Neuentdecken und im Neuzusammensetzen seine Erfüllung gefunden und lässt uns glücklicherweise daran teilhaben. |